Auch das hat mit den Themen- und Interessenschwerpunkten in meinem Blog zu tun: Die Konferenz Digital Life Design DLD in München, das Weltwirtschaftsforum in Davos, das Gipfeltreffen der Weltmarktführer, die Diskussion um Industrie 4.0 – und der Oxfam-Bericht. Darüber, dass alle plötzlich die Version 4.0 für sich beanspruchen (NRW die Bildung 4.0, Kretschmann und Herausforderer Wolf in Baden-Württemberg die Industrie 4.0 u.v.a.) kann man noch schmunzeln: Dass aber die Digitalisierung und ihre Folgen nun auch schon zu den alternativlosen Entwicklungen zählen soll, klingt für mich eher nach erfolgreicher Lobbyarbeit. Schließlich gilt es neue Fördergelder abzugreifen … aber nach meinem Eindruck werden bei diesen Treffen die falschen Prioritäten gesetzt bzw. nur alte Denkmuster in die digitalisierte Welt fortgeschrieben.
Beispiel 1: Big Data Laut Konferenzberichten äußerte sich der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jens Spahn (CDU) wie folgt: In den USA sammelt man erst einen Berg von Daten und denkt dann darüber nach, welche Geschäftsmodelle man auf dieser Basis entwickeln kann. In Deutschland hingegen dürften Daten nur zu einem vorher festgelegten Zweck gesammelt werden und würden danach gelöscht. Mit diesen zwei verschiedenen Ansätzen kann kein deutsches Unternehmen jemals mit einem amerikanischen konkurrieren. Für Spahn muss die öffentliche Diskussion über Datenschutz-Themen verändert werden, sonst treibe er europäische Firmen in einen Todeskampf mit Konkurrenten in aller Welt, bei dem sie nur verlieren können.
Das ist eine typische Denke, die in guten Ideen und Start Ups nur das nächste Facebook sucht; drunter gehts nicht mehr (Sascha Lobo bringt das gut auf den Punkt!) – und da werden gern die Daten und Interessen der Nutzer (und Datenlieferanten) geopfert. Das widerspricht allerdings (zumindest der bundesdeutschen) kritischen Diskussion um den Datenschutz (aktuellstes Beispiel ist die Safe Harbor Entscheidung der EU-Kommission).
Denn eigentlich wäre es wohl wichtiger, sich an die grundlegende Architektur des Internet heranzuwagen und die Schwächen der Netzwerkprotokolle, der Netzwerkhardware und Betriebssysteme auszumerzen. Schließlich wurde seine Grundkonzeption einmal für andere (eingeschränktere) Nutzungsformen und Netzteilnehmer konzipiert (lesenswert dazu, obwohl schwere Kost: Sicherheit in vernetzten Systemen, von 2000!).
Dass man mit Daten auch anders umgehen kann, zeigt das Beispiel Helsinki. Dort gibt es mit der Helsinki Region Infoshare eine Open Data Initiative, die zeigt, wie mit der kostenfreien Bereitstellung städtischer Daten (die gezielt gesammelt, standardisiert und veröffentlicht werden) ein wertvolles Allgemeingut geschaffen werden kann.
Beispiel 2: Das fahrerlose Auto Seit 2011 Googles Pläne zur Entwicklung selbstfahrender Autos bekannt geworden sind (inzwischen zusätzlich befeuert von Apples Ambitionen), überbieten sich die „klassischen“ Autohersteller zu betonen, das sie auch daran arbeiten. Kein Wunder, dass die autolastige deutsche Industrie dabei sein will und vom Wirtschaftsministerium Schützenhilfe erwartet – und bekommt. Denn auch Bundesminister Gabriel meint Dem automatisierten und vernetzten Fahren gehört die Zukunft.
Aber sind die milliardenschweren Investitionen in diesen Entwicklungsbereich vorrangig für die Lösung unserer Verkehrsprobleme? Ich würde mir wünschen, gerade unsere bundesdeutschen Hersteller würden mit gleicher Innovationskraft und -willen energiesparende Antriebe entwickeln oder – noch wichtiger – neue Mobilitätskonzepte unter Einschluss anderer Fortbewegungsmittel als das individuelle Auto. Ideen dazu gibt es genügend, Stichwort Mobilitätsdienstleister und Urbane Mobilität.
Beispiel 3: Industrie 4.0 Damit haben wir ein Schlagwort, dass von Wirtschaft und Politik gleichermaßen als unausweichliche Zukunft der industriellen Produktion gewertet wird. Wenn die Bundesregierung dazu verkündet Die deutsche Industrie hat jetzt die Chance, die vierte industrielle Revolution aktiv mitzugestalten, dann wird nicht erwähnt und wohl auch nicht prioritär gesehen, dass sich damit Arbeit und Arbeitsplätze verändern. Denn einerseits können zunehmend mehr Tätigkeiten wieder von den Zwängen befreit werden, die die Industrialisierung mit sich brachte, wie der Arbeitswissenschaftler Klotz betont. Andererseits betont ein Bericht der Weltbank, dass die Auswirkungen der Digitalisierung bisher eben nicht zu mehr Gerechtigkeit, weniger Armut oder mehr Zugang zu Bildung für die Ärmsten durch das Netz geführt hat. Und es mehren sich die Warnungen vor einem dramatischen Abbau von Arbeitsplätzen, der nicht durch das Entstehen neuer Arbeitsplätze kompensiert werden könne.
Wieder wird alternativlos eine neue industrielle Revolution ausgerufen, bei der durchaus akzeptable Arbeitsplätze (was physische und psychische Belastung angeht) von Maschinen ersetzt werden. Aber warum wird eigentlich nicht die gleiche (oder noch mehr) Energie darauf verwandt, die wirklich menschenunwürdigen Bedingungen zu verbessern, die insbesondere bei der Erschließung und Förderung der notwendigen Rohstoffe für die Digitalisierung bestehen?
Fazit: Wenn also bereits von Welt 4.0 geschrieben wird, dann kommt für mich der genannte Oxfam-Bericht ins Spiel. Unter den 62 reichsten Menschen der Erde (die alleine genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, das heißt rund 3,6 Milliarden Menschen, besitzen) sind inzwischen etliche Größen der IT-Industrie. Die Motivation, in diese Sphären aufzusteigen ist wohl nicht nur in der Finanzbranche groß (siehe den o.g. Beitrag von Sascha Lobo).
Die Prioritäten, die uns derzeit als nahezu alternativlos präsentiert werden, sollten also immer hinterfragt werden. Unterm Strich: Statt Gier 4.0 wäre mir Solidarität 2.0 lieber!
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