Didaktik: Digital – analog – hybrid?

Mit schöner Regelmäßigkeit wird der Didaktik-Begriff im Kontext des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien thematisiert. Ich selber habe mich zuletzt vor gut einem Jahr im Rahmen der Themenwoche MOOC-Didaktik des MMC13 damit befasst. Nun hat also Jöran Muuß-Merholz etliche Protagonisten einer digitalen Didaktik gefunden, darunter auch den geschätzten Herrn Larbig. Im Februar gab es sogar einen Kongress Digitale Didaktik an Deutschlands modernster Schule (bei der das erste digitale Abitur Deutschlands stattgefunden hat; naja, papierlos wäre wohl angemessener), wobei die Kongressbeiträge sich dann aber doch darauf beschränkten, Einzelbeispiele für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu präsentieren.

hybriduhrAls Mediendidaktiker akzeptiere ich eine Ausdifferenzierung der Didaktik (u.a. mit den Fachdidaktiken oder der Hochschuldidaktik), sehe aber wenig Sinn in solchen zusätzlichen Attribuierungen (Gleiches gilt für mich auch bei dem Begriff Bildung; dort gibt es inzwischen eine Community Digitale Bildung). Denn wovon soll mit der Neuschöpfung abgegrenzt werden? Bisher wurde ja auch nicht von analoger Didaktik oder hybrider Didaktik gesprochen (vgl. auch den Kommentar von Lars Kilian). Jens Haugen und Stefan Holmann haben bereits 2004 gezeigt, wie die allgemeine Didaktik auch die digitalen Medien umfassen kann.

Auf dem Feld der Didaktik kann man schnell des Guten zu viel tun
(so beginnt Ewald Terhart sein Bändchen Didaktik: Eine Einführung)

In den Kommentaren zu Jörans Beitrag wird allerdings deutlich, dass von einigen das Konzept von Didaktik insgesamt in Frage gestellt wird. Bereits im MMC13 meinte Lisa Rosa: Da wir in Zeiten des Internets und des LLL [Lebenslanges Lernen] erleben, dass Lernen nicht an Unterricht und Lehre gebunden ist, ist Didaktik unpassend. Es sei denn, es handelte sich um Autodidaktik und das Erlernen derselben. Auch Martin Lindner argumentiert in diese Richtung. Seine Position (als Kontra) findet sich kompakt lesbar in der Diskussion mit Jasmin Hamadeh (Pro) im Band Der vhsMOOC 2013 (S. 35-40). Jasmin: Die einen sehen in der Didaktik eine bevormundende Struktur mit der Rollenverteilung: Lerner = hilfsbedürftig, entmündigt, Lehrender: autoritär, von oben herab. Die anderen sehen in ihr die Brücke von dem, wie die Dinge funktionieren, zu dem, wie man begreifen kann, wie sie funktionieren – denn: Mit […] Hilfestellungen wäre ein Lerner, der nicht nur Wissen sucht, ernst genommen in seinen Anforderungen und seinen Herausforderungen an Lernen im Allgemeinen und an Lernen mithilfe des Internets im Besonderen. Martin: Das Lernen im Web [bietet ]eine besondere Chance, die Überbetonung der Didaktik, die fast alle Bildungsprozesse prägt, zurückzuführen […] Jeder ist hier immer nur einen Klick entfernt vom gesammelten Wissen der Welt, von den Stimmen der Fachleute oder anderer Lerner, von der Google-Antwort auf eine beliebige Suchanfrage. Damit ist eine ursprüngliche Situation des Lernens wieder hergestellt, die keine Erlaubnis von Autoritäten und Lehrenden braucht. Damit ordnet sich aber das ganze Verhältnis von Lehre und Lernen neu.

Auch wenn Lernprozesse sich zunehmend außerhalb etablierter Lehr-Lern-Institutionen entwickeln, bedeutet das m.E. nicht, dass alle Formen angeleiteten, betreuten oder begleiteten Lernens durch solches Selbstlernen oder Hilfe zur Selbsthilfe ersetzt werden kann. Häufig reicht es eben nicht, eigenständig Wissen zu recherchieren, wenn dessen Rekonstruktion und Aneignung auf der Basis des Gefundenen einem aber nicht gelingt. Wozu haben sich eigentlich Generationen von Fachdidaktikern Gedanken darüber gemacht, wie bestimmte Sachverhalte aufzubereiten, darzustellen, zu visualisieren sind, wenn es doch reichen soll, schlicht die entsprechenden Informationen aus dem Netz zu holen?

Mir ging es u.a. selber so, als ich das Problem der Umrechnung von Polarkoordinaten zu kartesischen Koordinaten in einem Simulationsprogramm hatte. Die Informationen in Wikipedia waren mir als Nicht-Mathematiker schwer verständlich. Reine Umrechnungsrezepte förderten mein Verständnis auch nicht gerade. Fündig wurde ich schließlich in einem alten Physikbuch. Inzwischen hat sich übrigens Helge Städtler dieses Problems aus Programmierersicht angenommen 😉

3 Gedanken zu „Didaktik: Digital – analog – hybrid?

  1. Ich stimme vollen Herzens (Gehirns) zu, dass Begriffe wie „digitale Didaktik“ Unsinn sind. Meine Rede seit gefühlt 10 Jahren. Mit dem Begriffsschlamperei ist z.B. auch verknüpft, dass sich viele Fachdidaktiker vorstellen, sie bräuchten einen eigenen Medienbegriff. Das wirkt sich mindestens ebenso schwerwiegend aus. Dazu letztens bei den Geschichtsdidaktikern dies: http://shiftingschool.wordpress.com/2014/04/29/medienbegriff-lernbegriff-und-geschichtslernen-im-digitalen-zeitalter/

    Deine Vorstellung, Joachim, dass jeder, der den Begriff Didaktik infrage stellt, damit auch unbegleitetes Lernen ablehnt, ist zu pauschal. Meine Didaktik-Kritik ist damit jedenfalls nicht erfasst. Ich sehen nur den Begriff „Didaktik“ historisch gebunden – eben an das historisch so seiende System „Schule“ mit dem System „Unterricht“.
    Unterricht – und Didaktik als die Lehre vom Unterrichten – ist dann eine historisch besondere Form von Lernprozessgestaltung. Jeder Versuch, die Didaktik zu modernisieren, ohne diese Historisierung vorgenommen zu haben, muss m.E. die (vielleicht beabsichtigte) Rekonzeptualisierung verfehlen. Meine eigenen theoretischen und praktischen Arbeiten zielen nie in die Richtung „Mach mal alleine ohne die Hilfe von professionellen Lernprozessgestaltern!“ Aber solange die Didaktiker die Historisierung ihres Gegenstands eben nicht vorgenommen haben, kommt man nicht mit ihnen über die Grenze ins Offene. Wenn aber „Didaktik“ tatsächlich bloß eine Bezeichnung für „Lernprozessgestaltung mit Anleitung“ wäre, dann wäre mir die Diskussion nicht so wichtig. Dass sie aber auch bei Dir mehr ist, als bloß eine Bezeichnung für das gleiche offene Ding, wie ich es sehe, wage ich zu behaupten, z.B. weil deine Frage „Wozu haben sich eigentlich Generationen von Fachdidaktikern Gedanken darüber gemacht, wie bestimmte Sachverhalte aufzubereiten, darzustellen, zu visualisieren sind, wenn es doch reichen soll, schlicht die entsprechenden Informationen aus dem Netz zu holen?“ – eben die Lernprozessgestaltung mit Anleitung den Fachdidaktikern als Expertise zuschiebt, die besonders am historischen System Schule kleben, und dies kaum historisch hinterfragen – selbst die Geschichtsdidaktiker nicht. Die Frage ist auch aus einem anderen Grund zu bedenken: Wenn alles nur darum heute und morgen noch Gültigkeit hätte, weil es gestern und vorgestern so vielen Menschen Geld, Sinn und Bedeutung verschafft hat, dann stünde es wohl schlecht mit der Entwicklungsfähigkeit der Systeme.

  2. Wenn man das Historisieren hinter sich hat, dann fragt man sich als nächstes, was denn nun die wirklich allgemeinen Voraussetzungen für Lernprozesse sind. Und dann kommt man zu den drei unverzichtbaren Aspekten: 1. Es braucht einen Lerngegenstand, 2. Es braucht (mindestens) ein tragfähiges Lernmotiv, und 3. es braucht Dialog über den Gegenstand.
    Und hier sind dann wirklich professionelle (= kundige) Menschen gefragt, die etwas vom Lernen und von der Gestaltung von Lernprozessen verstehen, und welche, die professionell etwas vom Gegenstand verstehen, und welche, die möglicherweise mein Lerninteresse teilen.
    Dieses allgemeine Verständnis vom Lernen haben die meisten Fachdidaktiker längst verloren – so sie es je hatten. Sie versäumen darum häufig vor allem, Punkt 3 zu organisieren (weil sie ihn nicht wichtig nehmen). Sie versäumen auch häufig, sich um Punkt 2 zu kümmern – weil sie ihn als gegeben voraussetzen oder Lernmotive als von außen zu gebende verstehen anstatt innerlich zu bildende. Dies ist aber auch etwas, was Allgemeindidaktiker häufig versäumen. Man möchte meinen, der Didaktiker kümmere sich ums Lernen. Das ist nicht der Fall. Er kümmert sich ums Lehren und vernachlässigt die Psychologie des Lernens. Schon Commenius hat auf diese déformation professionel hingewiesen, indem er den Didaktikern die Mathetik (Lehre vom Lernen) anempfahl. Das Problem des Reduktionismus im Fall der Didaktik ist also schon sehr alt …
    Aber erst, wenn wir zum Allgemeinen zurückkehren, werden wir – in Übereinstimmung mit dem Allgemeinen – das Besondere der Lernprozessgestaltung und seiner Bedingungen im digitalen Zeitalter verstehen können. Erst damit können wir dann den Begriff „Didaktik“ wirklich konkret rekonzeptualisieren. Ob das dann noch so heißt, ist doch wurscht. Aber das, was mir verschiedentlich als „didaktisches Design“ verkauft werden will, ist häufig bloß neuangestrichene alte Didaktik. Das ist dann oft eben „digitale Didaktik“, gekoppelt an einen toolifizierten Medienbegriff, einen outcome-gesteuerten Pseudo-Kompetenzbegriff mit wirklich auszumusternden lernpsychologischen Denkvoraussetzungen aus dem kalten Krieg (Maslov, Bloom et al.)

    • Interessant, wie bei einer zumindest ähnlichen Grundhaltung am Ende doch sehr unterschiedliche Interpretationen herauskommen. Ich komme ja eher aus der Hochschuldidaktik (auch wenn ich vormals mit Lehrerfortbildung (als Fernstudium) im schulischen Kontext gedacht und gearbeitet habe). In der Hochschuldidaktik wird die Lernprozessgestaltung deutlich offener gesehen als im schulischen Kontext, übrigens oft genug im Widerspruch zur Positionierung der Fachwissenschaftler zu ihrer eigenen Lehre. Und oft genug im Widerspruch zur Offenheit, die die Einführung in und Unterstützung beim wissenschaftlichen Arbeiten prinzipiell erfordern würde (siehe u.a den Beitrag von Gabi Reinmann).

      Tatsächlich geht es mir am allerwenigsten um die Bewahrung fachdidaktischer Produkte, nur weil deren Erarbeitung gestern Lohn und Brot gebracht haben. Allerdings habe ich einige Produkte (der Fachdidaktiker) vor Augen, die wichtige Funktionen im individuellen Lernprozess übernehmen können.

      Ein Beispiel: Während meines Biologiestudiums in den Sechzigern kauften wir uns lieber amerikanische Lehrbücher, weil die einfach besser waren: (trotz Englisch) leichter verständlich geschrieben als die deutschen Gegenstücke, viele Abbildungen (sogar oft farbig), Bezüge zu praktischen Problemen/Anwendungen, die damals in den deutschen theorielastigen Büchern fast immer fehlten. Entsprechend zu deinen drei unverzichtbaren Aspekten die damalige Lernsituation: Wir mussten im Grundstudium Biologie erstmal intensiv Chemie, Physik und Mathematik belegen. Da wurde semesterlang Zeug vermittelt, von dem wir nicht wussten, wofür wir es eigentlich später brauchen sollten. Wir haben dann selber mit Hilfe aufgeschlossener Vertreter des Mittelbaus entsprechende Einführungen konzipiert und im Rahmen von Tutorien umgesetzt – im jeweiligen Fach (es gab ja noch die Bundesassistentenkonferenz und deren bahnbrechende Broschüre Forschendes Lernen – Wissenschaftliches Prüfen [leider gibt es die nicht online, aber Artikel von Ludwig Huber dazu und etwas Neues von Gabi]) . Das war/ist für mich die fachdidaktische Arbeit, die nicht verschütt gehen sollte.

      Die Nutzung digitaler Medien ist für mich nicht nur Ermöglichung/Unterstützung des Dialogs über den Gegenstand (dein 3. Punkt), z.B. über soziale Medien. Leider heute vielfach ignoriert ist die Möglichkeit, mit digitalen Medien ganz neue Zugänge zu bestimmten Inhalten zu ermöglichen (häufig dadurch Verstehen deutlich zu verbessern; Bsp. Simulationen und Animationen komplexer Sachverhalte) oder neue Inhalte überhaupt erst für die Vermittlung zu erschließen (Bsp. Modellbildung in Natur- u. Ingenieurwissenschaften). Das meinte ich mit „dazu haben sich Generationen von Fachdidaktikern Gedanken gemacht“. Und da ist allzu vieles einfach in Vergessenheit geraten … vielleicht kann ich demnächst in meinem SoftwareMuseum ein paar Perlen nochmal zugänglich machen …

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