Digitale Bildung gibt es nicht!

Digitale Bildung gibt es nicht, genauso wenig wie es analoge Bildung gab oder gibt. Wenn schon, dann gibt es Bildung. Punkt.

Auch wenn der Bildungsbegriff ein typisch deutscher ist und vielfältig interpretiert wird, beliebig (verwendbar) ist er dennoch nicht. Es ist klar, dass bei Tagungsankündigungen, Expertentreffen oder Strategiepapieren gerne mit kurzen, knackigen Begriffen oder Halbsätzen gearbeitet wird. Das steht dann oft im Widerspruch zu einer sorgfältigen und reflektierten Begriffsverwendung. Und gerade gibt es jede Menge Tagungen und Stellungnahmen die im Titel nur oder in Halbsatzform die Digitale Bildung enthalten. Das geht dann quer durch alle (bildungs-)politischen Lager:

Die Strategie der Bundesregierung zur Vorbereitung der Menschen auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft trägt den Titel Digitale Bildung. Die Rede der Bundeskanzlerin beim vierten Nationalen MINT-Gipfel ist entsprechend überschrieben mit Digitale Bildung voranbringen …und beim nationalen IT-Gipfel am 16. November in Saarbrücken wird es einen Tag der Digitalen Bildung für alle! geben. Bei der Bayerischen Staatsregierung liegt die Zukunftsstrategie in Digitale Bildung in Schule, Hochschule und Kultur. Bei der SPD ist ihr Konzept Digitale Bildung die Antwort auf eine digitalisierte Welt. Eine Initiative von Verlagen und dem Verband der Bildungswirtschaft nennt sich Digitale Bildung Neu Denken. Auch bei der bpb gibt es den Themenschwerpunkt Digitale Bildung.

Mir liegt es fern, hier begrifflichen Purismus zu betreiben. Aber Digitale Bildung fördert eine Pauschalisierung, bei der leider mehrere Bereiche zusammengewürfelt werden, die inhaltlich und konzeptuell sehr unterschiedlich sind, sogar verschiedenen Bezugswissenschaften zugeordnet werden können (ein typisches Beispiel für das unzulässige und unergiebige Verquirlen ist die öffentliche Anhörung von Sachverständigen im Landtag NRW). Deshalb der Versuch einer knappen Differenzierung (Robert Taylor hatte da schon 1980 in seinem Buch The Computer in the School: Tutor, Tool, Tutee vorgelegt):

Lernen über digitale Medien (Medienkompetenz): Beinhaltet heute großteils den Umgang mit sozialen Medien, Cybermobbing, usw. und ist u.a. Arbeitsfeld der Medienpädagogik. Es wird überwiegend propagiert, sie integrativ, d.h. innerhalb existierender Fächer zu behandeln (siehe etwa Haist, 2013).
Lernen mit digitalen Medien (Mediennutzung): Dabei geht es um die Nutzung bei der Vermittlung von Inhalten und methodischen Differenzierungen (z.B. Simulationen, Übungen, Tutorials usw.) und mögliche Veränderungen der Lernkultur (z.B. inverted classroom). Das ist das Arbeitsfeld der Mediendidaktik und – da es den fachspezifischen Einsatz betrifft – der einzelnen Fachdidaktiken.
Lernen über den Computer: Manche fordern dafür ein #pflichtfachinformatik, andere Programmieren für Alle. Die Probleme der Diskussion darüber fasst Döbeli gut zusammen.

Weil diese Unterscheidung fast immer unterschlagen wird, stehen sich dann verhärtete Positionen gegenüber; die Diskussionen sind zwar munter und kontrovers aber letztlich praktisch folgenlos.

Die digitalen Medien, Computer und Internet sind so bestimmend für gesellschaftliche Veränderungen geworden, dass ich es tatsächlch für notwendig halte, sie auf allen drei genannten Ebenen konsequent zu nutzen und inhaltlich zu behandeln: Also Verteilung der medienpädagogischen Aspekte auf mehrere Fächer, selbstverständliche Integration als Arbeitsmittel und Medien in den Fächern und schließlich auch Vermittlung von Computational Thinking (d.h. mehr als nur Programmieren und Mehr als 0 und 1) so früh wie möglich und verortet in einem eigenständigen Fach. Das kann unabhängig voneinander voran getrieben werden; die  bei digitaler Bildung suggerierte inhaltliche, curriculare und organisatorische Kopplung ist da eher hinderlich.

Die o.g. Diskussionen, Tagungen und Stellungnahmen stimmen mich allerdings eher skeptisch, dazu tragfähige Konzepte und ihre Umsetzung zeitnah zu erleben, trotz der gleichzeitig beschworenen Notwendigkeiten von Industrie 4.0, Arbeit 4.0 oder gar Bildung 4.0. Zuviel erinnert an die fruchtlosen Debatten der letzten 35 Jahre um Informationstechnische Grundbildung, geeignete Schulsprachen usw. – die z.B. in den frühen Jahrgängen der Zeitschrift LOG IN nachzulesen wären …

7 Gedanken zu „Digitale Bildung gibt es nicht!

  1. Pingback: @jowede : Digitale Bildung gibt es nicht! | kon...

  2. Pingback: Digitale Bildung gibt es nicht |

  3. „Die bei digitaler Bildung suggerierte inhaltliche, curriculare und organisatorische Kopplung ist da eher hinderlich.“ Je nach bildungspolitischem Kontext trifft aus meiner Sicht diese Aussage zu oder eben nicht. Im Fall des Schweizerischen Lehrplans 21 war das Zusammennehmen verschiedenere Aspekte von digitaler Bildung mit ausschlag gebend dafür, dass überhaupt etwas in den Lehrplan kam. Je weiter weg von der Schulpraxis und vom Fachdiskurs entfernt EntscheidungsträgerInnen sind, desto weniger empfänglich sind sie für differenzierte Begrifflichkeiten. Da hilft dann eben „Digitale Bildung“, weil SIE sich etwas drunter vorstellen können. WIR müssen danach intern ausdiskutieren, was das genau bedeutet.

    Ich bleibe darum bei meiner Aussage „«Digitale Bildung» ist nichtssagend und deshalb für bildungspolitische Zwecke und Diskussionen geeignet. “ siehe http://blog.doebe.li/Blog/DagstuhlDreieck

  4. Lieber Beat,
    die Dagstuhl-Erklärung hat den Titel „Bildung in der digitalen vernetzten Welt“ – damit kann ich ja gut leben – und dann heisst es ja gleich zu Beginn: „Bildung in der digitalen vernetzten Welt (kurz: Digitale Bildung) muss aus technologischer, gesellschaftlich-kultureller und anwendungsbezogener Perspektive in den Blick genommen werden.“ Wenn diese differenzierte Sicht immer Diskussionsgrundlage wäre, ok. In den oben genannten Papieren ist es das aber nicht, sondern da wird meist alles verquirlt. Und zwar oft leider auch von den „Experten“; also findet wohl nicht ausreichend das von dir bevorzugte interne Ausdiskutieren statt.

    Ich bin inzwischen auch der Ansicht, dass wir den EntscheidungsträgerInnen durchaus diese Differenzierungen zumuten können und müssen (sind sowohl bei mir oben, als auch in Damstuhl-Erklärung eigentlich überschaubar kurze Texteinheiten); wer sich davon gleich kognitiv überlastet fühlt, taugt nicht zum Entscheidungsträger (aber das Problem haben wir ja in allen möglichen kontroversen Entscheidungsfeldern).

    Insofern halte ich deine Aussage „nichtssagend und deshalb für bildungspolitische Zwecke und Diskussionen geeignet“ zwar für kabaretttauglich, aber nicht zielführend.

  5. Pingback: VHS-Verband zum KMK-Papier „Bildug in der digitalen Welt“ | Fortbildung in Bibliotheken

  6. Pingback: Cybermobbing, Serious Games und Informationsfreiheitsgesetz – Wochenlinks 27 | digitales ABC

  7. Pingback: 2016: Jahr der Digitalen Bildung? | konzeptblog

Schreibe einen Kommentar