Eigentlich wollte ich eine Buchbesprechung zu Die digitale Bildungsrevolution (Dräger & Müller-Eiselt, 2015, 240 S., München: DVA) schreiben. Mach ich aber nicht. Andere haben bereits genügend geliefert, z.B. Burkhard Lehmann, Heike Baller, Vera Linß oder Fridtjof Küchemann. Aber meine Lesetipps dazu sind: Markus Deimann, Christian Füller.
Ich habe mich einfach geärgert, wie hier (wieder mal) eine Bildungsrevolution ausgerufen wird, ohne dass der Begriff Bildung gründlich verortet wird und dann natürlich auch nicht reflektiert wird, was entscheidende Parameter und Akteure der Wandlungsprozesse sind (siehe Deimann, a.a.O.). Ansonsten sind so ziemlich alle aktuellen Schlagworte in ihrem Text vertreten … Roger Schank hat diese Buzz Words vor kurzem treffend kommentiert.
Mich ärgert auch, wenn diese „Experten“ behaupten (a.a.O., S.11), „die Digitalisierung der Bildung ist noch jung, es gibt nur wenige empirische Befunde oder gar Langzeituntersuchungen“. Als ob die Digitalisierung erst mit MOOCs, sozialen Medien und Big Data angefangen hätte. Aber wen wundert’s. Zitieren die Autoren doch zumeist Arbeiten aus den Jahren 2014 und 2015 (auf 22 Seiten Literaturverzeichnis kommen gerade mal knapp 20 Zitate von Arbeiten vor, die vor 2010 erschienen sind). Empirische Arbeiten aus den Bereichen Medien- und Lernforschung? Fehlanzeige. Den „Wandel anführen, statt ihn nur geschehen zu lassen“ (a.a.O., S.10)? Ach, sie sollten wenigstens mal bei Audrey Watters‘ Hack Education die History of the Future of Education Technology nachlesen …
Insofern kann ich Burkhard Lehmann nicht zustimmen. Er klassifiziert das Buch als „wissenschaftsjournalistische Arbeit, die eine leicht eingängige und durchaus kurzweilige Lektüre bietet. Profundes fachliches Vorwissen benötigt man zum Verständnis nicht.“ Meines Erachtens eben doch, denn die Notwendigkeit, die Vereinfachungen bei der Skizzierung der Problemlagen und die Einseitigkeiten der Beispiele und ihrer Interpretation zu entdecken und zu hinterfragen, machen es eher zur „(Pflicht)lektüre für alle, die sich mit Themen der Bildung und hier insbesondere dem Einsatz digitaler Bildungsmedien beschäftigen“.
Die „Pflicht“ habe ich mal eingeklammert, denn gelesen haben muss man dieses als „Augenöffner“ angekündigte Buch nicht unbedingt.
Lieber Herr Wedekind,
in Ihrem Blog nehmen Sie Bezug auf meine Buchbesprechung. Das ist sehr freundlich von Ihnen.
Sie kommen allerdings dabei zu Schlüssen, die ich nicht teile. Und ich will sagen warum:
Das Buch ist aus meiner Sicht eine rein populärwissenschaftliche Abhandlung und sonst nichts. Ein wissenschaftlicher Anspruch kann nicht erhoben werden.
Natürlich kann dieses Buch jeder blutige Laie ohne alle Vorkenntnisse lesen und verstehen. Und natürlich muss das jeder lesen, der sich mit dem Thema „E“ in irgendeiner Weise befasst. Schließlich sollte jeder zur Kenntnis nehmen, welche höchst frawürdigen Thesen, beflügelt durch eine unreflektierte Technophilie, vertreten werden. Daher ist die Lektüre Pflicht! Sie ist ohne jede Frage eingängig und flott geschrieben. Ein Stück Unterhaltungslektüre, für die Fahrt mit der Bahn auf dem Sofa, der Badewanne.
Das Buch ist aber auch schon deshalb Pflichtlektüre, weil es zur E-Thematik genügend Publikationen und Äußerungen gibt, die mit dem von Dräger und seinem Schreib-Kollegen vorgelegten Niveau gut mithalten können. Insofern zeigt sich hier nur das Dilemma oder Symptom eines problematischen und wenig anspruchsvollen Diskurses, der insbesondere in den sozialen Medien zu beobachten ist.
Viele Grüße
Ihr Lehmann
Lieber Herr Lehmann,
wir sind uns ja einig, bis auf die Pflichtlektüre. Klar kann es auch jeder Laie lesen, aber verstehen und einordnen? Im Grunde ist es eine Art Gegenstück zu Spitzer. Griffig formuliert, aber wissenschaftlich wenig Substanz. Leider bekommen die niveauvolleren Beiträge selten eine vergleichbare Resonanz und dafür sind dann kaum die sozialen Medien Ursache.
Viele Grüße, J. Wedekind
Lieber Herr Wedekind,
nun reizt es mich zu einer weitern Einlassung:
Man kann es auch so sagen: Popwissenschaft schafft sich ein dankbares Publikum. Das gilt für Dräger, Spitzer und einige andere auch. Schwierig wird es aus meiner Sicht nur – und das kann man leider auch beobachten-, wenn diese Art von Produktion bedenkenlos Eingang in ernsthafte Debatten findet und als Argument genutzt wird oder zu politischem Handeln führt.
Interessant ist jedenfalls, dass die vorgebliche „Bildungsrevolution“ an einem, wie ich finde, völlig banalen Phänomen festgemacht wird. Das sind die Massenkurse. Ich bin bis heute sehr darüber irritiert, dass das Abfilmen von Vorlesungen eine beispiellosen Triumphzug angetreten hat und als Projektionsfolie für die absurdesten Ideologien herhalten muss.
Dann frage ich mich aber auch wieder: Worüber sollten alle diejenigen schreiben, die sich zu diesem Thema fortwährend lustvoll verbreiten, wenn es das „Bildungs-You-Tube“ nicht geben würde. Blieben die Blogs und Twitters möglicherweise ohne die netten Gadgets leer?
Viele Grüße
Ihr Lehmann